Der Palast der Lüftung
Während einer Reise in neue Gefilde gibt es immer wieder Neues zu entdecken. Unbekannte Völker, neue Orte und seltsame Rituale. Darum kann auch ein Reiseführer wie dieser eigentlich niemals fertig sein …

Am Südrand der Sümpfe der liegt die Akademie des »Ordens der Häufigen Beschwichtigung«, der »Palast der Lüftung«. Deren Bewohner haben seit längerem Ärger mit einigen anderen Bewohnern der Sümpfe, genauer gesagt mit einigen Millionen Exemplaren der Unsinnsmücke (culex pipiens delirians). Diese übertragen eine gefährliche Krankheit, daher versuchen die meisten Besucher der Akademie, den stechenden Plagegeistern aus dem Weg zu gehen. Diese benötigen für ihre Fortplanzung Blut und da der Orden Tausende von Enten als Opfertiere für seinen Tempel züchtet, wurde die Plage seit der Gründung der Akademie immer größer.

Es gibt zwar gar nicht weit entfernt auf dem Vorbergen des Bergrückens westlich vom Tor des Teilens einen großen Palast mit vielen einzelnen Räumen und Fenstern. Dieser wurde früher als Sommerfrische für den Erzkanzler des Orders der häufigen Beschwichtigung genutzt, aber der Weg dorthin ist seit Jahren nur ein ausgetrampelter Pilgerpfad. “Niemand kann den Weg so ausbauen, dass alle unsere Ordensschülerinnen und -schüler dort hinauf kommen, das würde Unsummen kosten” ist die übliche Antwort auf die Frage von unwissenden Fremden, warum der Orden nicht einfach diese 800 Höhenmeter umzieht und so den Plagegeistern aus dem Weg geht.
Viele Hohepriester vom Orden der Häufigen Beschwichtigung sind dazu der Meinung, dass es Unsinn sei, sich den Geschöpfen der Welt zu entziehen und so der Gefahr von Stichen zu entgehen. Daher entwickelten die Oberen um den Erzkanzler in ihrer Zelle das Ritual des »Großen Lüftungsprotokolls«.

Bei diesem Ritual werden mindestens 13 mal am Tag alle Fenster geöffnet und in einer Prozession ziehen alle Studentinnen und Studenten der Akademie mit Fächern wedeln und laut “Tara, Tara, Tara” rufend einmal durch die Akedemie. Bis der dritte Erzkanzler, Michael der Verwuschelte auf die glorreiche Idee kam, den optimalen Weg gefunden zu haben, um der Culex-Invasion Herr zu werden: “Raus mit den Fenster, runter mit dem Dach, rein mit frisch gelüftetem Wissen und rauf mit der Bildung”. Vor allem während der Sturmsaison im Frühling und Herbst kann man seitdem sicher sein, jede Menge frischer Luft vorzufinden. Zwar kaum noch Einrichtungsgegestände ausser den Halteösen für die Sturmseile der Schüler und ihrer Betreuer, aber auch deutlich weniger Mücken.

Sogleich wurde das Ritual in den Regeln des Ordens festgeschrieben und alle niederen Ordensmitglieder hatten nun täglich ein vom Wind hereingewehtes Blatt zu finden und mit ihrem Initial-Stempel bedruckt abzugeben. Was im Winter naturgemäß zu einer Reihe sportlicher Wettkämpfe um die verbliebenen Blätter der wenigen immergrünen Bäume führte. Aber wie der Erzkanzler so schön sagt: “wer schneller schnauft, ist auch innen gut gelüftet”.

Kluge Reisende halten in diesen Zeiten so gut wie möglich Abstand von der Akademie, eine Vorsichtsmaßnahme welche die Fakultätsmitlgieder und Studierenden nicht beherzigen können, denn der lokale Rat der Bildungsfürsten (die ehrenwerte Institution der »Ansammlung altanaloger Archonten«) zwingt alle in die Akademie. “Selbst lernen ist gut, auf dem Hintern sitzen ist besser, denn viereckige Räume fördern den Kreislauf der Gedanken”. Sagt zumindest der Erkanzler Michael der Verwuschelte und wer einige seiner Ideen hören durfte, denkt sich, dass ein etwas besserer Kreislauf zumindest für ihn ganz gut wäre…